Carré - Texturtanz
Im Spannungswinkel
Der Mensch in Bewegung – zwischen Grund- und Aufriss, in und zwischen Architektur, ständig dem rechten Winkel ausgesetzt – der Spannung zwischen der Horizontalen und der Vertikalen.
Der Mensch in Quadratspannung.
Die Körperkraft, mit der man der Quadratspannung standhalten muss, bildet auf der äußeren Haut des Menschen, der Kleidung, geometrische Formen, Quadrate, Kuben – Ausformungen des Spannungsverhältnisses Mensch-Architektur, bewegter Geist und Quadratnorm, die zwingend den sich dazwischen bewegenden Menschen prägt.
Die Stadt als Architekturraster, als Quadratlandschaft, die ihr Raster der textilen Haut des Menschen aufdrückt, sich ausformt in Normquadraten, die Kleidung zu starr, scheinbar schwer beweglichen Schutzhüllen prägt,
die sich zwischen Geisteshaut und Quadratmonumentalität, als Kleidungskubus – Raum schafft.
„Carré“, ein an das triadische Ballett von Oskar Schlemmer erinnernde Performance, konfrontiert den Zuseher mit Spannungsquadraten in textiler, musikalischer und choreographisch-bewegter Form.
Die Idee des Quadrats als absolute Norm, formt das von Christina Dörfler entwickelte Performancequadrat,
in dem sich Form, Textil, Musik und Bewegung in Momenten der Synthese im (Raum)Quadrat treffen.
Das Quadrat formt das Kostüm der Tänzer, bestimmt ihre Bewegungsabläufe und spiegelt sich immer wieder,
in der eigens zu diesem Texturtanz komponierten Musik von Andreas Karl, wider.
Die Komposition soll als eigenständiges Musikstück verstanden werden, das sich nur dem Quadrat verpflichtet hat, und dessen Verknüpfungspunkte zu der von Bettina Földesi und Katharina Kinzel entwickelten Choreographie in verschiedenster Weise hörbar werden.
Das Gesamtkonzept von Christina Dörfler sieht vor, dass Musik und Choreographie sich zwar am Quadrat-Thema orientieren, jedoch lässt sie Andreas Karl (Musik), Bettina Földesi und Katharina Kinzel (Choreographie) innerhalb des Performancequadrates genügend Freiraum für die selbstständige Interpretation des Themas.
Sie gibt den räumlichen Rahmen vor und manifestiert ihre Quadratgedanken in Form zweier Kostüme,
die in ihrer Struktur wie auch in der Umsetzung auf die gesamte Performance verweisen.
Die Stofflichkeit des für die Kostüme gewählten Kunststoffes (Kunst-Stoff als Synonym für die Künstlichkeit und Geformtheit der Stadt) spiegelt in ihrem Aufbau (den rechtwinkeligen Verknüpfungen von Kett- und Schussfaden – Quadrate bildend) das Quadratraster der Stadt wider.
Der Stoff wurde also bewusst nach dem Kriterium der Rechtwinkeligkeit ausgewählt. Die Künstlichkeit dieses industriell erzeugten Polymerfasergewebes stellt wiederrum eine Parallele zur Stadt dar, da der Stoff, einmal unter Druck und Hitze geprägt, die Prägung behält, wie auch die Stadt in ihren Quadratformen starr bleibt.
Der Stoff wurde zu Quadraten gebügelt, durch Muskelkraft, Druck und Hitze verformt – geprägt.
Dieser Gewaltakt der Stoffbearbeitung lässt die schleichende Formungsgewalt der Spannungsquadrate fühlbar werden, von denen man täglich geprägt wird.
Wie auch der Stoff, der immer wieder aus der Form springt, sich dem Raster zu widersetzen versucht, findet auch der sich bewegende Mensch Freiräume im Quadrat, lotet dessen Grenzen aus – und beginnt zu tanzen.
Im Performancequadrat
Die zwei Tänzerinnen, Diagonalpunkte eines Quadrats, betreten das Performancequadrat.
Der Boden dieses Quadrates bildet ein Gitterraster, das wiederrum auf das Gesamtthema verweist, dem täglichen Umgang mit Strukturen, realen wie metaphorischen Quadraten.
Die Musik setzt ein, die Violine, gespielt von Christopher Roth, beginnt ein Klangquadrat zu erzeugen, die erste Tänzerin schreitet zu ihrem Kostüm. Sie zieht es an und scheint als menschliches Quadrat dem Raster des Gitters entnommen zu sein. Der Mensch wird in diesem Prozess der Quadrataneignung „in Beziehung zur abstrakten Figur (dem Quadrat) gesetzt“[1] es scheint, „dass die Gesetze des umgebenden kubischen Raumes auf die menschlichen Körperformen übertragen werden, - als wandelbare Architektur.“[2]
Kurz darauf setzt die Querflöte, gespielt von Christina Dörfler, parallel zur Violine ein, und die zweite Tänzerin betritt das Performancequadrat, formt sich in ihr Kostüm und beide beginnen zu tanzen.
Die Choreographie erzählt in einer deutlich reduzierten, klaren Formensprache, immer wieder auf die geometrischen Grundformen verweisend. Von der ersten noch marionettenhaft wirkenden Aneignung des Quadrats, vom Quadrat angezogen, gezogen – erzogen, Strukturen fühlend, Halt finden – immer wieder gegen das Raster fallen. Sich an Kanten schneiden, in Ecken rennen, sich am rechten Winkel die Glieder stoßen – bis sich die Tänzerinnen ihrer Bewegungen bewusst zu werden scheinen und das Quadrat achtsamer gesehen wird – es wird bewohnt, betanzt, immer wieder in seinen Diagonalen (den Tänzerinnen) gespannt.
Bis die Musik und die Choreographie gegeneinander zu fallen drohen. Die Musik am Quadrat zu zerren beginnt und die verschiedenen Ebenen, das bewegte Quadratkostüm, der Gitterboden, das Klangquadrat in Variationen und die Bewegungen der Tänzerinnen gegeneinander zu agieren beginnen.
Die zweite Sequenz ist geprägt von Langsamkeit. Die Musik, wie auch die Tänzerinnen, zerren gegeneinander am Quadrat. Die Langsamkeit der Bewegungen verdeutlicht die immense Körperkraft, die notwendig ist um der Quadratspannung standzuhalten und das Raster langsam zu dehnen.
Die Körperspannung der Tänzerinnen wird verstärkt durch die musikalische Spannung, die durch das Hauptthema hervorgerufen wird. Die Tänzerinnen werden in ihren Bewegungen unruhiger, unkontrollierter, sie schreiten das Quadrat ab, beginnen alle Grenzen zu sehen – parallel dazu beginnt das Quadrat sich musikalisch zu drehen. In dieser Phase der Performance folgt, wie im triadischen Ballett nach Oskar Schlemmer, „der Tänzermensch sowohl dem Gesetz des Körpers als dem Gesetz des Raumes; er folgt sowohl dem Gefühl seiner selbst wie dem Gefühl vom Raum.“[3] Bis die Bewegungen der Tänzerinnen den Raum zu brechen drohen, sie tanzen synchron und schnell zur Musik. Diese bleibt schnell, während die Bewegungen der Tänzerinnen sich wieder verlangsamen – sich gegengleich ausformen und zum Stillstand kommen.
In dieser Sequenz stehen die Tänzerinnen reglos, die Quadratgrenze wird direkt anvisiert.
Nur die Musik dreht weiter am Quadrat.
Die Tänzerinnen beginnen sich langsam zu bewegen, ziehen ihre Kostüme aus, während die Musik sich verlangsamt. Die Tänzerinnen schreiten aufeinander zu – es entsteht ein Doppelbild, die Diagonalpunkte des Quadrats stehen in Kongruenz, das Quadrat ist aufgelöst.
Die Tänzerinnen heben wie zitierend die Arme, messen synchron das Quadrat aus, eine der Tänzerinnen bricht zu Boden, die Andere richtet sie auf – bringt den Kopf der Gefallenen in Quadrathaltung, und hebt sie hoch.
Beide stehen für Momente, als Doppelbild des offenen Quadrats – dann schreiten sie synchron zur Musik aus dem Performancequadrat.
Zurück bleibt die Quadratspannung, die sich akustisch wieder im Hauptthema auflöst – im Kopf des Betrachters bleibt ein akustisches Bild hängen – durchbrochene, - durchtanzte, musikalische Stoffreste
Und „le CARRÉ“ – als Kostüm am Raster.
Text von Marie-Theres Wakonig
in Zusammenarbeit mit Christina Dörfler, Katharina Kinzel, Bettina Földesi und Andreas Karl